«Ich muss noch nicht alles wissen»

Der neue Gossauer Schulpräsident Stefan Rindlisbacher über Pläne, Herausforderungen und Corona.

Seit Anfang des Jahres arbeitet Stefan Rindlisbacher (FDP) im Gossauer Schulamt, in dem vorher elf Jahre lang Urs Blaser (FDP) gewirkt hatte. Der neue Schulpräsident war am Anfang nicht sicher, ob er einem 100-Tage-Interview mit dem «Tagblatt» zustimmen soll. Ob er denn so wichtig sei, fragte er. Am Ende entschied sich Rindlisbacher, der zuvor 20 Jahre lang als Reallehrer tätig war, doch dafür.

Was ist schwieriger zu führen: Eine Realklasse mit
20 Schülerinnen und Schülern oder ein Schulamt mit 200 Mitarbeitenden?

Stefan Rindlisbacher: Es ist schwierig, diese Frage so pauschal zu beantworten. Was ich aber sagen kann: Als Schulpräsident erhalte ich nicht so direkte Rückmeldungen wie als Lehrer. Bei den Schülerinnen und Schülern habe ich immer gleich gewusst, wo ich stehe. Die Reaktion kam unmittelbar, wenn Kinder und Jugendlichen etwas nicht verstanden. Dann hatte ich die Gelegenheit, das zu korrigieren. Das ist als Schulpräsident – zumindest was die Unmittelbarkeit anbelangt – anders.

Haben Sie sich denn schon bei allen Lehrerinnen und Lehrern vorgestellt?
Das ist das, was mich wirklich belastet hat. Mein Wunsch wäre gewesen, dass ich an Teamsitzungen teilnehmen und mit den Lehrpersonen persönlich ins Gespräch kommen könnte. Viele von ihnen kennen mich zwar schon, weil ich selber lange Lehrer war, in Gossau aufgewachsen bin und mein Vater schon hier unterrichtete. Doch wegen Corona waren diese Gespräche bisher nicht möglich.

Sie haben es angetönt: Sie waren 20 Jahre lang Lehrer. Vermissen Sie das Unterrichten nicht?

Doch, das muss ich ehrlicherweise zugeben. Ich weiss zwar nicht, ob ich das Gesamtpaket vermisse. Aber die tägliche Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern sowie die Zusammenarbeit mit den Eltern fehlt mir.

Bereuen Sie den Wechsel?

Nein. Ich habe viel Freude an meiner neuen Arbeit und auch an den Herausforderungen, die damit verbunden sind.

Sie sind ein Quereinsteiger, das ist Ihr erstes Exekutivamt. Was hat Sie überrascht?

Die Fülle an Themen in einer Stadt wie Gossau – wir sind ja nicht Zürich oder New York! Und damit meine ich nicht den Bereich der Schule, dort konnte ich erahnen, was auf mich zukommt. Sondern ich beziehe mich auf die Mitarbeit im Stadtrat. Es gibt unglaublich viele verschiedene Geschäfte. Und ich war überrascht, wie gut die anderen Stadtratsmitglieder die Details dieser Geschäfte kennen. Das hat den Anspruch an mich selber nochmals erhöht.

Wie gut sind Sie denn schon vertraut mit den laufenden Geschäften des Stadtrats?

Die Einarbeitung wird sicher eine gewisse Zeit dauern. Es gibt noch einiges, das ich lernen muss. Ich muss aber auch noch nicht alles wissen. Das gestehe ich mir am Anfang zu.

Wie steht die Schule Gossau aus Ihrer Sicht heute da?

Gossau ist ein toller Bildungsplatz. Wir haben gute Schulanla- gen und gute Rahmenbedingungen sowohl für die Lehrpersonen als auch für die Schülerinnen und Schüler.

Das tönt sehr enthusiastisch. Es gibt doch aber sicher noch Nachholbedarf.
Natürlich. Das Selbstverständnis, dass jede Lehrperson die Entwicklung der Schule durch die Mitarbeit an Projekten prägen kann, soll noch gestärkt werden. Auch bei der Digitalisierung waren wir bisher nicht sehr innovativ und forsch unterwegs. Dort haben wir sicher noch Entwicklungspotenzial. Die digitale Transformation der Schule voranzutreiben, wird darum einer meiner Schwerpunkte sein.

Was wollen Sie sonst noch bewegen?
Wir müssen herausfinden, wie wir der Vielfalt der Schülerinnen und Schülern noch besser gerecht werden können. Es gibt viele unterschiedliche Lerntypen, die unterschiedlich gefördert werden müssen. Darauf muss die Schule reagieren. Ein grosses Thema ist auch das ausserschulische Betreuungsangebot. Die Frage ist, was die Schule neben der Schule anbieten soll und was die Bedürfnisse der Bevölkerung sind.

Wie meinen Sie das? Es gibt doch schon Tagesstrukturen.

Das ist richtig. Aber es genügt heute nicht mehr, dass die Kinder einfach nur beaufsichtigt werden. Vielmehr wird erwartet, dass auch im ausserschulischen Bereich eine Betreuung oder sogar Förderung stattfindet. Dazu braucht es Fachkräfte. Denn ich bin der Meinung, dass das nicht die Aufgabe der Lehrpersonen ist. Da gibt es noch viele offene Fragen.

Und sonst?

Wichtig ist mir auch, dass wir die Schülerinnen und Schüler sinnvoll beurteilen. Man muss sich bewusst werden, dass dazu mehr gehört als nur eine Note. Wir wollen nicht, dass die Kinder auf eine Zahl festgelegt werden, sondern sie ganzheitlich anschauen.

Wollen Sie die Noten abschaffen?
Nein, es werden auch in Zukunft Noten im Zeugnis stehen. Doch wir müssen noch mehr darüber reden, was diese bedeuten.

Mehr digitales Know-how. Mehr Lerntypen, auf die man Rücksicht nehmen soll. Mehr Gespräche über die Leistung. Muten Sie da den Lehrerinnen und Lehrern nicht zu viel auf einmal zu?

Das ist eine Herausforderung, das ist so. Vielleicht ist der Beruf anspruchsvoller geworden. Das alles geschieht ja aber auch nicht von heute auf morgen. Zudem muss man sehen, dass mit den steigenden Ansprüchen auch ein Helfersystem aufgebaut wurde. Die Lehrpersonen sind heute nicht mehr allein.

Die Schule ist teuer. Sie verantworten den mit Ab- stand grössten Posten im Budget der Stadt. Das ist viel Verantwortung. Macht Sie das nervös?

Diese Verantwortung spüre ich. Die Bevölkerung und auch die Politik hat hohe Ansprüche an die Schule – und man muss sich bewusst sein, dass diese etwas kosten. Gleichzeitig muss ich dazu beitragen, dass Gossau einen gesunden Haushalt hat.

Wollen Sie sparen?

Das ist schwierig. Schulpersonal, -material und -räume werden wohl nicht günstiger. Und die Aufgaben immer vielfältiger. Am Ende entscheidet das Parlament, wie viel Geld die Schule erhält. Wenn man will, dass die Schule nicht mehr teurer wird, muss man sich eingestehen, dass dann nicht alles möglich ist, was sich die Bevölkerung heutzutage vielleicht wünscht.

Sie haben Ihr Amt während einer Krise angetreten. Wie stark hat Sie die Coronapandemie in Ihren ersten Monaten beschäftigt?

Das Thema Corona war omnipräsent. Und es hat manchmal zu schwierigen Situationen im Schulalltag geführt.

Vor Ostern gab es einen grösseren Coronaausbruch im Schulhaus Hirschberg. Wie viele Schülerinnen
und Schüler waren davon betroffen?

Das will ich nicht kommunizieren. Ich kann aber bestätigen, dass eine Klasse durchgetestet wurde, weil es zu einer Häufung von Coronafällen gekommen war. Das war der erste solche Fall in Gossau. Wir sind bisher glimpflich davongekommen.

Trotzdem löst so ein Fall Ängste aus.
Es ist klar, dass sich die Eltern in einer solchen Situation Sorgen machen – und sie reagieren ganz unterschiedlich. Die einen wollen nicht, dass ihre Kinder getestet werden. Die anderen hätten am liebsten eine öffentliche Liste mit allen positiven Kindern, damit sie sehen, mit wem ihr Kind nicht mehr spielen sollte. Mit diesen Forderungen sind dann die Lehrpersonen konfrontiert und müssen moderieren.

(Quelle: St.Galler Tagblatt, 23.04.2021)